Rennsitz nach Maß: Nur mit dieser Schale holt man Pokale

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Ein Rennsitz ist ein stiller Held: Wäre er nicht perfekt an den Fahrer angepasst, könnte der vermutlich kein Rennen gewinnen. Und doch beachtet kaum ein Motorsport-Fan dieses grundlegende Detail. Grund genug, umso genauer hinzuschauen – auf die Bedeutung, die Herstellung und die Besonderheiten eines Rennsitzes. Nicolas Lapierre, Stammpilot im Alpine Elf Matmut Endurance Team, gewährt uns hierbei exklusive Einblicke.

Als Esteban Ocon am 1. August 2021 in Ungarn den ersten Grand Prix für das neuformierte Alpine F1 Team gewann, sprang er nach der Auslaufrunde sofort jubelnd aus dem Alpine A521 mit Renault E-TECH 20B-Hybridantrieb. Dabei hätte er guten Grund gehabt, noch etwas sitzenzubleiben oder zumindest beim Aussteigen noch einmal zärtlich über seinen Rennsitz zu streicheln. Denn dieses kompakte Kunstwerk aus Kohlefaser und Formschaum war bei der aufregenden Siegesfahrt vielleicht kein Ruhekissen, ganz sicher aber eine Grundlage des Erfolges.

Der Rennsitz gibt festen Halt, Kontrolle und Sicherheit

Aber wieso ist der Rennsitz überhaupt so wichtig für die Fahrer? Nun, die immense Bedeutung dieses Teils zeigt sich schon daran: Bevor ein Fahrer überhaupt den ersten Meter in einem für ihn neuen Rennwagen zurücklegt, wird akribisch der Sitz angepasst. Ohne optimalen Sitz ist schnelles Fahren praktisch unmöglich. Das maßgeschneiderte Gestühl fixiert den Fahrer und stellt sicher, dass er auch bei den immensen G-Kräften in Kurven und beim Bremsen jederzeit die ideale Sitzposition und perfekte Kontrolle über sein Fahrzeug behält.

Das Anpassen eines Rennsitzes auf einen Fahrer verlangt höchste Präzision. Er muss den Piloten praktisch hauteng umschließen. Jede noch so kleine Kante könnte über die Renndauer schmerzhaft drücken, jede zu weite Stelle den sicheren Halt gefährden. Das gilt ganz besonders im Langstreckensport. Bei den sechs, zwölf oder gar 24 Stunden langen Rennen teilen sich mehrere Fahrer ein Auto. „Ein Langstrecken-Rennwagen ist wie eine gemeinsame Wohnung“, vergleicht Nicolas Lapierre, Stammpilot im Alpine Elf Matmut Endurance Team. „Du richtest dich so ein, dass es jedem Bewohner gefällt. Nur ein Element wird absolut individuell für jeden Fahrer maßgeschneidert: der Rennsitz.“1

Bis zu drei Rennstunden am Steuer: Konzentration und Komfort sind wichtig

Ein Stint, also der Abschnitt, den ein Pilot bis zum Fahrerwechsel absolviert, kann bis zu drei Stunden dauern. Vibrationen, Bodenwellen, Sprünge über die Kerbs und Hitze wirken auf den Fahrer ein und stressen ihn. Eine perfekte Arbeitsumgebung schirmt ihn gegen viele Störfaktoren ab und lässt ihn weniger ermüden. Außerdem möchte jeder Rennfahrer das Verhalten des Boliden mit dem ganzen Körper spüren. „Die perfekte Sitzschale ist ungemein wichtig. Du musst dich über lange Zeit im Auto wohlfühlen und ein gutes Gefühl dafür haben, wie dein Auto sich bewegt“, betont Lapierre.

Begleiten wir also den dreifachen Le Mans-Klassensieger mit Alpine2 bei dieser wichtigen Prozedur. Lapierre tritt in kompletter Rennbekleidung – Helm, Overall, Handschuhe, Rennschuhe – zur Anprobe an. Er steigt in den flachen, blauen Boliden und lässt sich in eine Basis-Sitzschale aus Kohlefaser nieder, die mit einem Plastiksack ausgekleidet ist. Dieser enthält einen Polyurethan-Schaum, der zunächst fast flüssig ist und Lapierres Körper im Cockpit deshalb perfekt umschließt. Nach rund 15 Minuten ist der Schaum ausgehärtet, der Franzose steigt aus und die Mechaniker heben eine stabile Form mit optimalem Abdruck heraus.

Jedes überflüssige Gramm und jeder störende Grat werden entfernt

Dann schneiden die Sitztechniker so viel überflüssiges Material heraus wie möglich, um maximal Gewicht einzusparen. Anschließend schleifen sie behutsam Grate und Kanten ab. Dieser geformte, erleichterte und geschliffene Rennsitz-Prototyp wird nun wieder eingebaut und auf der Rennstrecke getestet.

Dabei achtet Lapierre ganz genau darauf, wo es vielleicht noch drückt oder er mehr Halt wünscht – worauf die Techniker millimetergenau nachschneiden oder Material auftragen. Gefällt die Passform, wird die Sitzschale mit einem feuerfesten Material bezogen. Der finale Schritt besteht darin, Griffmulden einzusetzen, damit die individuelle Sitzschale beim obligatorischen Fahrerwechsel an der Box schnell gegen die des Teamkollegen getauscht werden kann. Lapierres fertige Schale für den Rennsitz im Alpine A480 für Le Mans und die Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC wiegt übrigens nur 1,3 Kilogramm.

In der Formel 1 werden die Sitze teilweise sogar mehrmals pro Jahr neu angepasst, um auf Veränderungen im Gewicht oder der Muskelmasse eines Fahrers zu reagieren.3 Auf der Langstrecke, etwa bei den berühmten 24 Stunden von Le Mans, rückt der Komfort vielleicht ein bisschen mehr in den Blickpunkt. Für jeden Rennsitz aber gilt, so Lapierre: „Wenn du gut ins Auto integriert bist, kannst du dich besser aufs Fahren konzentrieren und machst weniger Fehler. Du wirst eins mit deinem Auto.“

1 en.media.renaultgroup.com
2 www.auto-motor-und-sport.de
3 www.motorsport-magazin.com

 (Stand 10/2021, Irrtümer vorbehalten)

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