Der Renault Reinastella: Gäbe es das Wort „Opulenz“ nicht bereits, für den 1929 von Renault eingeführten Wagen müsste man es erfinden. Zum 90. Geburtstag des Luxusmobils – dem ersten Renault mit acht Zylindern – reisen wir zurück in die faszinierende Unternehmensgeschichte der Marke.
Frankreich in den späten 1920er Jahren: Die Euphorie, den Ersten Weltkrieg überlebt zu haben, dauert an. Im fortschreitenden Wiederaufbau geht es mit der Wirtschaft bergauf, und der sogenannte Schwarze Freitag von 1929 ist noch nicht abzusehen. In den „Goldenen Zwanzigern“ schwappt die Charleston-Welle aus den USA nach Europa, Josephine Baker tanzt im skandalösen Bananen-Röckchen, Swing und Jazz sind angesagt – Paris wird die leicht frivole Partyhauptstadt der Zwischenkriegszeit. Eleganz trotzt Elend. Der Stoff eines einzigen Revuekleids würde heutzutage ausreichen, um ein ganzes Ballett einzukleiden. In diese Stimmung pflanzt Louis Renault den ebenfalls geradezu verschwenderischen Reinastella.
Reinastella: glamouröser Nachfolger des 40 CV
Der stattliche Renault 40 CV sollte einen mehr als würdigen Nachfolger bekommen. Renault befindet, dazu müsse der neue Wagen einen Motor mit acht Zylindern erhalten – den ersten der Marke. In Reihe angeordnet, gerät der Vorderwagen gewaltig, der Hubraum der acht Töpfe addiert sich schließlich auf 7.125 Kubikzentimeter. Ein weiteres Novum: Der Kühler sitzt nun vor dem Triebwerk anstatt dahinter – eine Entwicklung, die sich für Folgemodelle des Autoherstellers rasch durchsetzt.1
Trotz der beachtlichen Leistung von 110 PS – später sind es sogar 130 PS – und einer Spitzengeschwindigkeit von 135 km/h ist Sportlichkeit keineswegs die vorderste Tugend des Reinastella. Er soll vor allem durch Komfort, Robustheit und einen attraktiven Preis Einzug in die feine Gesellschaft halten.
Haute Couture à la Voiture: individuelle Karosserien für den Reinastella
Ein Radstand von 3,7 Metern – Spurweite vorne 150,7, hinten 153,5 Zentimeter – stellt eine wunderbar große Bühne für die namhaften Karosseriebauer dieser Tage da. Renommierte Pariser Automobil-Couturiers wie Kellner, Binder oder Weymann kleiden den Reinastella ein und erschaffen die wohl stilvollsten und exklusivsten Luxusmodelle dieser Zeit.2 Ab Werk sind fünf Karosserievarianten erhältlich: eine Pullman-Limousine mit acht Sitzen, die normale Limousine, ein dreisitziges sowie ein sechssitziges Cabriolet und ein Coupé. Je nach Karosserie variiert der Preis zwischen 120.000 und 180.000 Französischen Francs.2
In seiner opulentesten Variante und inklusive Koffer bringt es dieses majestätische Automobil auf 2,7 Tonnen Gewicht und 5,6 Meter Fahrzeuglänge – der imponierende Riese zählt zu den längsten Personenkraftwagen, die je in Europa gebaut wurden. Diese Ausmaße erfordern freilich auch beim Manövrieren die Großzügigkeit eines Pariser Boulevards: Ein Wendekreis von 17 Metern lädt nicht eben zur spontanen Umkehr ein.
Prunkvolle Pariser Premierenparty
Beim Marketing immer die Zielgruppe im Auge behalten – das gilt vor 90 Jahren genauso wie heute. Entsprechend wählt Renault den Rahmen der Weltpremiere: Im Herbst 1928 dürfen royale Regierungsoberhäupter, hoher Adel und die führenden Köpfe der Großindustrie im prunkvollen Pariser Kristallpalast einen ersten Blick auf das neue Flaggschiff werfen.
Der Reinastella wird bis einschließlich 1933 gebaut. Die Palette der individuell karossierten Reihenachtzylinder auf Basis dieses Modells wächst derweil 1929 um den Nervastella mit einem kleineren 4,24 Liter großen Motor. Bis 1939 schwillt das Hubvolumen des Triebwerks auf 5,4 Liter an; diese finale Ausbaustufe des Reihenmotors arbeitet unter der Haube des Suprastella.
1 Quelle Renault Classic Reinastella: en.renaultclassic.com.
2 Quelle Renault Presse Jubiläumsbroschüre: www.renault-presse.de.
(Stand 04/2019, Irrtümer vorbehalten)