Kinder, wie die Zeit vergeht! Vor fast genau 40 Jahren stieg Renault in die moderne Formel 1 ein und löste mit seinem fortschrittlichen Turbokonzept eine technologische Trendwende aus. Der knallgelbe Renault RS01 – der natürlich bei Renault Sport in Viry entstand – feierte am 17. Juli 1977 beim britischen Grand Prix in Silverstone sein Debüt. Vier Jahrzehnte später zählt Renault mit bislang elf Fahrer- und zwölf Konstrukteurs-Weltmeistertiteln zu den erfolgreichsten und traditionsreichsten Herstellern in der Formel 1. In der Saison 2017 greift die Werksmannschaft mit dem R.S.17 an. Genau wie sein Vorgänger anno 1977 trägt der moderne Bolide die typische gelb-schwarze Lackierung – unter der Verkleidung aber hat sich praktisch alles gewandelt. Die direkte Gegenüberstellung zwischen dem ersten und dem aktuellen Formel 1-Fahrzeug der Franzosen zeigt deutlich, wie rasant sich die Königsklasse weiterentwickelt hat.
Anschnallen, Fluxkompensator vorwärmen, es wird spannend. Für unseren Vergleich zwischen den Formel 1-Autos von 1977 und heute springen wir munter zwischen dem Gestern und Heute hin und her, mutieren quasi zu Wanderern zwischen den Welten. Dabei erlaubt uns unsere Zeitreise faszinierende Einblicke in die Entwicklung der Vollgaswelt. Sind Sie bereit?
Motorpower: Renault R.S.17 mit fast
doppelt so viel Leistung wie sein Urahn
Willkommen in den 70ern. Wir schreiben das Jahr 1977 und Renault bereits munter Motorsportgeschichte. Die Franzosen feierten zu jener Zeit sowohl in der Formel 2-Europameisterschaft als auch bei den 24 Stunden von Le Mans prestigeträchtige Titel und Erfolge. Parallel dazu bestritt die Marke, die 1906 den allerersten Grand Prix der Geschichte gewann, in der Saison 1977 ausgewählte Formel 1-Rennen. Der Motor des Renault RS01 basierte auf jenem Turbotriebwerk, das im Renault Alpine A442-Sportwagen 1978 den prestigeträchtigen Le Mans-Sieg erobern sollte. Das Besondere: Anders als seine hubraumstarken Formel 1-Gegner verfügte der RS01 über ein V6-Aggregat mit lediglich 1,5 Litern Hubraum, der von einem Abgasturbolader zwangsbeatmet wurde – Renault übernahm damit die Rolle des Technologie-Pioniers und führte die Turbo-Aufladung in die Königsklasse des Motorsports ein. Die Leistungsdaten? Für die damalige Zeit atemberaubend. Der Renault V6, intern mit dem Kürzel EF1 versehen, mobilisierte zu Beginn 525 PS bei 11.000 Touren und zählte damit zu den stärksten Aggregaten im Starterfeld. Die letzte Evolutionsstufe knackte 1986 sogar die 900 PS-Marke.
Und heute? Die Hybrid-Antriebseinheit des Renault R.S.17 schickt mit einer Systemleistung von mehr als 900 PS fast doppelt so viel Power an die Hinterräder wie das Aggregat aus der 1977er-Saison. Die Höchstdrehzahl liegt bei 15.000 Touren. Besonders beeindruckend ist das komplexe Zusammenspiel zwischen Verbrennungsmotor, MGU-K (Motor Generator Unit – Kinetic) und MGU-H (Motor Generator Unit – Heat). Für alle weniger eingefleischten Formel 1-Fans: Die MGU-K wandelt die Bewegungsenergie, die beim Bremsen sonst in Form von Reibungswärme verpufft, in elektrische Energie um. Die MGU-H gewinnt elektrische Energie über eine Turbine im Abgasstrang zurück. Der Verbrennungsmotor erhält also im Grunde gleich doppelte „Unterstützung“. Apropos: Bei ihm handelt es sich genau wie anno 1977 um ein V6-Triebewerk. Auch der Hubraum ist mit 1,6 Litern nahezu identisch. Technologisch liegen zwischen den beiden Kraftpaketen jedoch Welten. Der EF1 sorgte aufgrund des schlagartig einsetzenden Turbo-Schubs für ein schwer zu beherrschendes Fahrverhalten. Rutschten die Drehzahlen in den Keller, standen gerade einmal 150 PS zur Verfügung. Heute können die Renault Sport F1-Piloten Nico Hülkenberg und Jolyon Palmer über das gesamte Drehzahlband Leistung satt abrufen.
Technische Daten:
Renault EF1 (1977)1
Anzahl Zylinder: V6
Hubraum: 1,5 Liter
Bohrung x Hub: 86 mm x 43 mm
Gewicht: 179 kg2
Leistung: 525 PS
Höchstdrehzahl: 11.000 U/min
Aufladung: ein Turbolader
Renault R.E.17 (2017)3
Anzahl Zylinder: V6
Hubraum: 1,6 Liter
Bohrung x Hub: 80 mm x 53 mm
Gewicht: min. 145 kg
Leistung MGU-K: Max. 120 kW/163 PS
Energierückgewinnung der MGU-K: Max. 2 MJ pro Runde
Energieabgabe der MGU-K: Max. 4 MJ pro Runde
Energierückgewinnung der MGU-H: Unbegrenzt
Systemleistung: Mehr als 660 kW/900 PS
Höchstdrehzahl: 15.000 U/min
Aufladung: ein Turbolader, unbegrenzter Ladedruck (typischer Maximaldruck 5,0 bar)
Kohlefaser-Monocoque statt Aluminium
Stichwort Chassis: Das entwickelt Renault beim aktuellen R.S.17 genau wie 1977 im Falle des RS01 selbst. Aber das war es dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Denn während die Fahrer vor 40 Jahren von einem Aluminium-Monocoque umschlossen waren, besteht das Monocoque heute aus druckgeformter Kohlefaser und einer Aluminium-Wabenstruktur. Bei der Konstruktion legte das Renault Sport Formel 1-Team großen Wert auf maximale Steifigkeit bei minimalem Gewicht. Der Motor ist tragendes Teil des Chassis. Im Falle eines Unfalls sind die Piloten heute bestmöglich geschützt – kein Vergleich zu jenen Boliden, mit denen 1977 Jean-Pierre Jabouille und seine Formel 1-Fahrerkollegen um Siege kämpften. Auch bei den Bremsen der aktuellen F1-Generation kommen natürlich Bremsscheiben und -beläge aus Karbon zum Einsatz, während im RS01 noch innenbelüftete Stahlscheiben verzögerten4.
Aerodynamisches Wunderwerk:
Renault R.S.17 beherrscht das „Spiel mit der Luft“
Auch bei der Aerodynamik trennen den aktuellen Renault R.S.17 und seinen Urahn Welten. Kein Wunder, schließlich war das aerodynamische Know-how vor vier Jahrzehnten mit dem von heute nicht vergleichbar. Allerdings nutzten die Experten des Renault Werksteams bereits damals den sogenannten Venturi-Effekt: Durch die spezielle Gestaltung des Unterbodens entstand ein Unterdruck, das Auto „saugte“ sich also förmlich an den Asphalt.5 Dies gipfelte 1979 in dem Renault RS10, der über das sogenannte Ground-Effect-Chassis verfügte: Die Seitenkästen waren vereinfacht gesagt wie umgekehrte Flügelprofile geformt. Die Formel 1-Boliden der aktuellen Generation erhalten ihren aerodynamischen Feinschliff in unzähligen Windkanalstunden. Das Ergebnis lässt sich im direkten Vergleich mit dem RS01 natürlich vor allem am Flügelwerk des R.S.17 erkennen. Fast noch interessanter ist aber das, was das Auge des Betrachters nicht sieht. Denn die Ingenieure tüfteln monatelang daran, wie sie die Luft möglichst effizient sowohl über das Auto als auch durch das Chassis hindurch leiten, um maximalen Anpressdruck bei kleinstmöglichem Luftwiderstand zu erzielen. Aerodynamik in der Formel 1, das ist heute Wissenschaft auf allerhöchstem Niveau.
Besonders augenfällig wird der Unterschied zwischen der Formel 1-Generation von 1977 und den aktuellen Fahrzeugen beim Blick auf das jeweilige Lenkrad. Vor vier Jahrzehnten war es genau das: ein Lenkrad. Heute müssen Hülkenberg und Co. während des Ritts am Limit eine Vielzahl von Knöpfen bedienen – das reicht vom Teamfunk über den DRS-Heckflügel (Drag Reduction System) bis hin zu Motormapping, Einstellungen für das Hybridsystem sowie Bremsbalance. Hinzu kommt natürlich der sogenannte KERS-Knopf zum Abrufen der elektrischen Zusatzpower. Auch die Gänge des halbautomatischen Achtgang-Titangetriebes werden im Renault R.S.17 heutzutage per Schaltippen am Lenkrad gewechselt – natürlich ohne zu kuppeln. 1977 waren Gangwechsel noch echte Hand- und Fußarbeit, denn bevor die nächste der sechs Fahrstufen6 eingelegt werden konnte, musste zuerst gekuppelt werden.
Vier Jahrzehnte Formel 1, 579 Grands Prix und 168 GP-Siege für Motoren von Renault, elf Fahrer- sowie zwölf Konstrukteurs-Weltmeistertitel. Und 2017 greift Renault in der Königsklasse wieder mit einem eigenen Werksteam an. Kinder, wie die Zeit vergeht!
Was ist hier Formel 1-Highlight von Renault?
1 Quelle: Renault Pressemitteilung „pr-renault_115_jahre_rennsiege_0516“.
2 Quelle: www.statsf1.com.
3 Quelle: Renault Pressemappe „pm-renault_formel_1_saison_0317“.
4 Quelle: www.ultimatecarpage.com.
5 Quelle: books.google.de, S. 390.
6 Quelle: www.ultimatecarpage.com.
(Stand 04/2017, Irrtümer vorbehalten)