Finale furioso: So eine Titelentscheidung zwischen zwei Fahrern hat die Motorsportwelt noch nie erlebt – hinter dem eigentlichen Teilnehmerfeld duellierten sich Renault e.dams-Pilot Sébastien Buemi und sein Kontrahent Lucas di Grassi im Einzelzeitfahren. Die schnellste Rennrunde spielte das Zünglein an der Waage, wer neuer Formel E-Meister wird.
Bereits die Ausgangslage vor den letzten beiden Saisonrennen im Battersea Park von London versprach großartige Dramatik: Nach seinen Siegen beim Auftaktrennen in Peking sowie Punta del Este (Uruguay) hatte Sébastien Buemi den deutschen ePrix in Berlin für sich entschieden und war damit bis auf einen Punkt wieder an Lucas di Grassi im Abt-Schaeffler-Auto herangerückt.
Auch Lauf eins am Samstag sollte noch keine Vorentscheidung bringen: Zwar fuhr Nicolas Prost im zweiten rein elektrisch angetriebenen Renault Z.E.15 seinem ersten Formel E-Sieg entgegen, doch di Grassi wurde Vierter und Buemi Fünfter. Nun lag der brasilianische Abt-Mann drei Zähler vorne.
Aber Buemi ließ sich nicht beirren und schlug im Stile eines würdigen Champions zurück: Er setzte vor dem zehnten und letzten eGP kurzerhand die Bestzeit im Qualifying – das Formel E-Reglement belohnt die Pole Position mit drei WM-Zusatzpunkten. Sprich: Ausgleich mit Vorteil für den Renault Z.E.15-Piloten, denn sein Teamkollege stand neben ihm in der ersten Startreihe.
Was dann folgte, ließ Millionen Zuschauer empört aufspringen: Kaum war das Rennen freigegeben, schaltete di Grassi auf Attacke. Gleich die erste Gelegenheit nutzte er, um sich rabiat nicht nur neben Prost zu bremsen – er schoss sogar am Franzosen vorbei und nahm direkt Buemis Auto aufs Korn. Es kam zur Kollision und beide Meisterschaftsanwärter drehten sich ins Aus. Hätten sie ihre Fahrt nicht fortsetzen können, wäre der Brasilianer Weltmeister geworden – bei Punktgleichheit zählen die besten Einzelplatzierungen. Und da beide je drei Siege und zwei zweite Ränge vorweisen konnten, hätte eine dritte Position mehr zugunsten di Grassis entschieden.
Doch: Pech gehabt. Buemis Rennwagen war zwar lädiert, fuhr aber noch. Ebenso wie sein Kontrahent schleppte sich der Schweizer an die Box und stieg dort in den Ersatzwagen für die zweite Hälfte des ePrix um. Reguläre WM-Punkte lagen natürlich nicht mehr in Reichweite, wohl aber die beiden Zähler, die es für die schnellste Rennrunde gibt – und so entbrannte hinter dem eigentlichen Feld ein irrwitziger Einzelzeitfahr-Wettbewerb. Wie von Sinnen schossen beide Kontrahenten um den temporären Kurs und nahmen die letzten Sicherungen heraus. Dabei behielt Buemi am Ende die besseren Nerven: Er ließ seinen Elektroboliden in 1.24,150 Minuten um den welligen Parcours fliegen – für ihn das Ticket zu jenem Meistertitel, den er ein Jahr zuvor noch haarscharf verpasst hatte.
„Ich kann kaum glauben, was heute alles passiert ist“, so der Eidgenosse. „Durch die unverschuldete Kollision kurz nach dem Start blieb mir nur noch die schnellste Rennrunde als Chance auf den Titel. Dafür war auch taktisch eine Meisterleistung nötig. Am Ende hat der schnellere Fahrer und das bessere Team gewonnen.“
Fast schon in den Hintergrund trat dabei der souveräne Start-Ziel-Sieg von Nico Prost, der somit auch für die zweite Titelentscheidung des Tages sorgte: Renault e.dams durfte sich wie in der Debütsaison der Formel E-Meisterschaft wieder über die Teamwertung freuen.
Können Renault e.dams und Sébastien Buemi ihre Titel in der dritten Formel E-Saison verteidigen?
(Stand 07/2016, Irrtümer vorbehalten)